Volker

Die Genesung eines Ingenieurs. Eine experimentelle Herangehensweise

Volker​

Meine Geschichte

Prolog
Den Text schrieb ich am Tag sieben des Experiments. Ich habe dann die folgenden Wochen unten ergänzt, denn ganz habe ich „dem Braten noch nicht getraut“. Jetzt bin ich wieder zurück in Vollzeitarbeit und sportlich auf dem Niveau wie vor Long Covid und würde mich deshalb als Genesen bezeichnen.

Das Long Covid Experiment
Ich kenne den Leidensdruck und die Hilflosigkeit bei Long Covid und bin deshalb sehr dankbar, dass andere Menschen mir mit ihren Geschichten den Weg aus dieser Krankheit gezeigt haben. Deshalb teile auch ich meine Geschichte gerne.

Oktober 2023 – Dezember 2023
Ich hatte eine leichte Covidinfektion, danach ging es mir besser, aber meine Fitness war eingeschränkt. Ich bin grundsätzlich ein sehr aktiver Mensch und mache zwei bis dreimal pro Woche Sport. Das ging jetzt nicht mehr. Beim Sport war ich nicht mehr so leistungsfähig und nach dem Sport war ich tagelang erschöpft und spürte mein Herz stärker schlagen als normal.
Nach ein paar Wochen bin ich dann mal zum Arzt und habe mich im Rahmen der Ü35 Untersuchung durchchecken lassen. War so weit alles okay. Der Arzt nahm aber meine Beschwerden ernst und überwies mich zum Kardiologen.

Januar 2024 – Dezember 2024
Im Januar 2024 also nach ca. 3 Monaten habe ich den Sport dann schweren Herzens fast komplett eingeschränkt und machte nur noch Yoga und leichtes Radfahren. Kraftsport tat mir nicht mehr gut.
Im Laufe der nächsten Wochen und Monate fühlte ich mich zunehmend unwohler. Mittags hatte ich eine bleierne Müdigkeit, konnte mich schlecht konzentrieren, hatte oft einen Nebel im Kopf und unscharf gesehen. Ich habe mich eher so durch die Woche geschleppt. Es ging schon, da ich beruflich in einer entspannten Situation war (Teilzeit), aber Reserven für andere Aktivitäten hatte ich nur selten.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich dann angefangen mich mit Long Covid auseinanderzusetzen, da meine Einschränkungen mir langsam sorgen bereiten.
Nebenher liefen die Untersuchungen beim Kardiologen (EKG, Belastungs-EKG, Langzeit-EKG, Herzecho) und ich bin zum Augenarzt wegen meiner Sehstörung. Alle Untersuchungen ergaben keine negativen Befunde.
Meine Symptome blieben relativ stabil, das Herzklopfen wurde schlimmer, die Müdigkeit ein bisschen besser. Es gab Tage, wo mir das alles Sorgen bereitete, vor allem der Sport und die körperliche Fitness fehlten mir. Im große und ganzen konnte ich mein Leben aber, mit ein paar Einschränkungen ganz gut leben. Nur nach Belastungen ging es mir schlecht (Belastungsintoleranz). Deshalb habe ich mir neue Hobbys gesucht, die körperlich weniger anstrengend sind (Schach, Gitarre).
Im Herbst 2024 änderte sich meine berufliche Situation und ich arbeitete wieder Vollzeit. Das war für mich mit Long Covid wirklich anstrengend. Die Woche schaffte ich gerade so und ab und an musste ich mich krankmelden. Die Symptome wurden schlechter und ich war immer erschöpfter.
Ich habe dann mit Pacing angefangen, mir einen Pulstracker gekauft und ein paar Nahrungsergänzungsmittel (Vitamin B12, Eisen, L-Arginin und Vitamin C) genommen. Außerdem habe ich mich dann im November 2024 nochmals gegen Covid impfen lassen in der Hoffnung auf Besserung.
Hat leider alles nichts geholfen.

Januar 2025 – April 2025
Jetzt ging es mir zunehmend schlechter. Es kamen nun noch Schlafstörungen und Ängste zu meinen Symptomen dazu. Es gab gute Tage, aber auch viele schlechte. Mittlerweile machte ich mir Sorgen über meine Gesundheit und Belastbarkeit.
Im März 2025 habe ich dann von einer Studie mit Nikotinpflaster zur Behandlung von Long Covid gelesen und es gleich ausprobiert. Boah! Es hat funktioniert. Ich fühlte mich wieder gesund. Ich war regelrecht euphorisch. Es war so ein schönes Gefühl! Nach den 1,5 anstrengenden Jahren endlich wieder fit. Es war herrlich! Leider nur für fünf Tage, dann hatte ich einen totalen Crash. So schlimm wie noch nie. Ich musste mich mit dem Taxi von der Arbeit nach Hause fahren lassen, weil ich so erschöpft war. Die Ärztin hat mich für vier Wochen krankgeschrieben. Ich war körperlich und psychisch total am Ende. Konnte in den ersten Tagen nur ein paar Schritte spazieren, Einkaufen viel mir schwer. Ich habe dann direkt eine Reha beantragt und schon meine berufliche Zukunft abgeschrieben. War echt ein Scheißgefühl.
Vor 2 Jahre war ich noch topfit und Long Covid macht mich jetzt mit 44 Jahren zum Frührentner?
Am Sonntag, dem 30.März 2025 bin ich auf einen Artikel im Ärzteblatt über mögliche psychische Komponenten von Long Covid gestoßen. Darüber bin ich zu dem Erlebnisbericht von Paul Garner gekommen. Ein Professor der selbst an Long Covid erkrankte und der, nachdem er sich von einer rein biomedizinischen Erklärung verabschiedet hat und die psychischen Komponenten stärker betrachtet hat wieder gesund geworden ist. Einfacher, aber undiplomatischer gesagt: Die Symptome sind echt, aber die kommen vom Gehirn, nicht vom Körper.
Den ganzen Sonntag bin ich dann in das „Body-Mind“ Ding eingestiegen und habe mir Geschichten von anderen angeschaut. Ausserdem ein Video von Dr. Schubiner, der das alles gut zusammenfasst hat.
Als Ingenieur und Evidenzliebhaber kann ich es nicht ganz glauben, dachte mir aber ein Versuch ist es wert. Ich habe Long Covid bisher eher wie ein Hardwareproblem betrachtet, jetzt werde ich es wie ein Softwareproblem angehen.

Also habe ich folgenden Plan gefasst und ab morgen werde ich:

– Denken, ich bin körperlich gesund
– Alle Symptome ignorieren
– Mein Leben wie vor Long Covid leben

Und wenn es schief geht, finde ich mich mit einem fürchterlichen Crash in der Notaufnahme wieder 🙁

Fühlt sich ein bisschen an wie „all in“ beim Pokern

Montag, den 31.03.2025
Ich bin noch genauso schwach wie gestern. Trotzdem gehe ich einkaufen und einen Kaffee trinken. Ich habe das Gefühl, ich werde gleich ohnmächtig. Ich atme tief: „Du bist gesund, weitermachen, es kann nichts passieren“. Mein Gehirn versteht aber die Message nicht und ich bekomme eine Panikattacke im Café. Und dann… passiert nichts weiter. Nach ein paar Minuten bin ich wieder normal.
Das Gleiche passiert mir nochmal beim Fahrradfahren und als ich abends einen Freund getroffen habe. Abends bin ich schon hart am zweifeln ob das alles richtig so ist. Ich bin erschöpft und unruhig. Ich schau mir eine Genesungsgeschichte auf Youtube an, das hilft mir mich zu beruhigen.
Fazit Tag 1: Ich bin noch am Leben, war aber ein harter Tag mit drei Panikattacken. Fühlt sich ein bisschen an wie rauchen aufzuhören. Ein Teil des Gehirns sagt, geht nicht. Der andere Teil sagt, geht doch.

Dienstag, 01.04.2025
Wie gestern, ich kämpfe mich durch den Tag. Ignorier die Symptome. Und hatte „nur“ zwei Panikattacken
Fazit Tag 2: Fühlt sich besser an als gestern. Aber hart, vor allem die Unsicherheit ob das der richtige Weg ist.

Mittwoch, 02.04.2025
Heute traue ich mich auf eine kleine Fahrradtour. Alles geht viel besser als die letzten Tage. Ich fühle mich oft schlapp und denke „jetzt breche ich zusammen“. Aber es geht trotzdem. Eine Panikattacke sagt mir, dass mein Körper über meinen Gesundheitszustand geteilter Meinung ist. Aber ich sage mir immer wieder „Du bist gesund,“
Abends holte ich meine Freundin vom Zug ab und wir haben noch eine Flasche Wein im Park getrunken (wie früher, habe ich aber lange nicht mehr gemacht).
Nachts wachte ich mit Herzrasen, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen auf. „Ist das jetzt der Crash?“ dachte ich. Mist. Ich habe mir dann gesagt „könnte auch alles psychisch sein und dein Körper ist ok“. Zwar konnte ich nicht mehr schlafen, es hat mich aber beruhigt.

Donnerstag, 03.04.2025
Der erste Tag, an dem ich das Gefühl habe, auf dem absolut richtigen Weg zu sein. Es geht mir viel besser als gestern. Ich unternehme eine längere Fahrradtour, länger als ich sie mir seit Long Covid zugetraut habe. Und es funktioniert. Keine Panikattacke, ich fühle mich gut. Wirklich gut.

Freitag, 04.04.2025
Ich mache alles wie vor Long Covid, fühle mich gut. Wenig Symptome, gute allgemeine Fitness. Abends mache ich Klimmzüge (das habe ich seit Monaten, nicht mehr gemacht, da ich einmal einen Crash danach hatte). Es geht mir besser als seit langer Zeit, ich kann es nicht ganz glauben und habe immer noch Angst vor einem Crash.

Samstag, 05.04.2025
Ich arbeite den Tag im Garten. Abends gehen wir auf eine Feier von Freunden. Ich fühle mich wie früher und kann es immer noch nicht glauben.

Sonntag, 06.04.2025
Ich habe in Brandenburg übernachtet und fahre mit dem Zug nach Hause. Ich schaue aus dem Fenster, denke an die letzten Long Covid Monate, voll Erschöpfung, Suche nach Lösungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Pacing, Angst vor dem Crash, das „durch den Tag kommen“ und vor allem die Hoffnungslosigkeit. Und habe ich nun die Lösung für mich gefunden? Es fühlt sich so an, ich kann es aber kaum glauben. Und fange an zu weinen.

Zum Glück sind wir in Berlin, da schaut dich niemand komisch an, egal was du machst.

Wie gehts weiter?

2. Woche
Habe jeden Tag Sport gemacht. Leichte bis mittlere Belastung. Das erste Mal wieder Joggen gewesen und leichten Kraftsport angefangen.
Ab und an spüre ich Müdigkeit und Erschöpfung. Auch wache ich relativ früh auf. Herzrasen ist komplett weg. Unscharfes Sehen habe ich noch manchmal. Und manchmal bin ich auch ungewöhnlich Lärmempfindlich und Dünnhäutig.
Die Euphorie der ersten Woche ist einem eher ruhigen, positiven Gesamtgefühl gewichen und ich höre wieder Jack Johnson (habe ich seit Jahren nicht mehr gehört, komisch).

3. Woche
Körperliche bin ich bei 95%. Habe keine Einschränkungen. Da es mir aber jetzt wieder so gut geht, steigt die Angst vor einem Crash, denn jetzt habe ich ja wieder was zu verlieren. Da ich aber über Ostern bei meiner Familie bin, bleibt wenig Zeit für Sorgen.

4. Woche
Die Woche startet mit zwei Wandertage mit 20 und 27km, die ich körperlich problemlos (mit einer Blase am Fuß) schaffe. Eine kleine Sorge im Hinterkopf, ob es es nicht doch zu viel ist, gibt es aber immer noch. Am Ende der Woche fühle ich mich zu 100% wieder gesund. Morgen starte ich auf eine Radtour in Brandenburg.
Die Bewilligung meines Long COVID Reha-Antrages für eine stationäre Kur ist im Briefkasten. Ich hab den Antrag Ende März 2025 gestellt. Ein komisches Gefühl, wie eine Erinnerung aus einer anderen Zeit, jetzt wo es mir wieder gut geht.

5. Woche
Ich war von Montag bis Sonntag auf einer Radtour. Ich bin täglich zwischen 60 und 80 km gefahren. Am Freitag bekam ich Knieschmerzen, und als sie bis Sonntag nicht besser wurden, bin ich mit dem Zug zurück nach Berlin gefahren. Ich fühle mich wieder 100 % erholt (bis auf die Knieschmerzen). Natürlich sind meine Muskeln und meine Fitness noch nicht wieder auf dem Niveau vor COVID, aber ich habe praktisch keine Symptome mehr.

6. Woche
Alles weiterhin gut 🙂
Ab und an ein paar Symptome (Schwindel, unscharf Sehen, Herzklopfen) aber nach ein paar Minuten sind sie weg.

7. Woche
Ab nächster Woche gehts wieder Vollzeit auf die Arbeit

8. Woche
Ich bin die ersten Tage der Woche noch krankgeschrieben und hatte Donnerstag und Freitag die ersten Arbeitstagen. Lief ganz gut. So habe ich mich noch nie auf die Arbeit gefreut.

9. Woche
Die erste Vollzeit Arbeitswoche hab ich doch etwas unterschätzt bzw. mich ein bisschen überschätzt. Sich 100% gesund zu fühlen ist viel einfacher, wenn man krankgeschrieben ist, ein bisschen Sport macht und alles entspannt ist. Ich bin angespannter, mehr unangenehm „unter Strom“ als sonst und habe ab und an Herzrasen. Körperlich aber sonst gut. „Gut Ding will Weile haben“

Juni 2025
Jetzt geht es weiter im Monatsrhythmus. So viel passiert ja nicht mehr.
Auf der Arbeit ist relativ viel los. Ein bisschen Herzrasen, ein bisschen Rauschen auf den Ohren und immer noch ungewöhnlich unter Spannung. Sonst aber alles okay. Ich habe gelesen, das Magnesium gegen Stress helfen soll (https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10783196/), deshalb nehme ich jetzt jeden Tag eine Magnesiumbrausetablette. Kostet nicht viel und schmeckt auch ganz gut 🙂

Juli 2025
Ich habe Anfang Juli eine schwere Erkältung bekommen (vielleicht sogar eine Grippe). War eine Woche krankgeschrieben und es hat drei Wochen gedauert bis ich wieder 100% fit war. Ob das mit Long COVID zusammenhängt das es sich so gezogen hat? Das er Körper sich gemerkt hat Krankheitssignale stärker zu bewerten?
Ich habe außerdem mit jemanden gesprochen der seit 25 Jahren am Thema Genesung bei chronischem Erschöpfungssyndrom und seit einigen Jahren auch Long COVID dran ist. Er hat gesagt, das meine Ansatz doch eher ungewöhnlich ist (Er kennt bisher nur Paul Garner und mich die durch diesen Ansatz so schnell wieder gesund wurden). Der Standard scheint wohl eine langsamer Steigerung der Aktivität zu sein. Er hat die Geschichte auf Reddit gepostet.
Und ich hatte ein Interview mit Martina.

August 2025
Ich habe 4 Wochen auf einem Campingplatz gearbeitet. (Hand gegen Urlaub). 100% fit, 0% Symptome.


Soweit von mir. Danke fürs lesen. Und dir alles Gute!


Epilog
Es ist jetzt November 2025, und ich fühle mich absolut nicht mehr an „Long COVID krank“. In meinem Leben ist aber wieder relativ viel los, deshalb gibt es natürlich Tage, an denen mein Herz gefühlt schneller schlägt, und Nächte, in denen ich schlechter schlafe. Das alles liegt aber im Rahmen wie vor Long COVID, nur dass ich jetzt vielleicht etwas sensibler bin (was ja eigentlich gar nicht so schlecht ist).

Zwei Aspekte, die mir vielleicht erst im Nachhinein klar wurden und die ich oft von Menschen mit Long COVID gefragt werde, möchte ich noch kurz erläutern.

Ausschlaggebend für meine Genesung war es nicht, einfach alle Symptome zu ignorieren. Das habe ich während meiner Krankheit auch manchmal gemacht, und da wurde es dann eher schlechter. Für mich war es entscheidend, die Symptome nicht mehr als organischen Defekt und als Warnung meines Körpers zu sehen, dass ich mich doch bitte schonen soll, sondern einfach als körperlich harmlose Reaktion, die ich annehmen und aushalten kann. Das war das Entscheidende.

Auch haben viele angemerkt, dass für sie der Gedanke, es handle sich um ein „Softwareproblem“, sehr problematisch ist. Das fühlt sich an, als wäre man „selbst schuld“. Bei mir war es genau das Gegenteil. Ich fand die Möglichkeit, dass es etwas mit dem „Mindset“ zu tun hat, total gut, weil ich dann selbst einen Handlungsspielraum habe und Einfluss auf die Krankheit nehmen kann und nicht einfach ausgeliefert bin.